Rechte als Opfer

Wenn Sie häusliche Gewalt erleben und darüber nachdenken, etwas an Ihrer Situation zu verändern, sind Sie möglicherweise mit vielen Rechtsfragen konfrontiert. Sie finden hier viele Hinweise auf Ihre Rechte und Möglichkeiten, wenn es z.B. um Strafverfahren, Sorge- und Umgangsrecht für die Kinder, Schutz und Unterstützung oder finanzielle Hilfen geht.


Die Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU der Europäischen Union erweitert seit 2015 die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern häuslicher Gewalt im Strafverfahren.


Die folgenden Hinweise sind ganz sicher nicht allumfassend, oft kommt es auf Details an. Es kann also hilfreich sein, sich beraten zu lassen, bevor Sie nächste Schritte entscheiden. Das bundesweite Hilfetelefon (Tel. 116 016) berät Sie zu allen Fragen rund um häusliche Gewalt, in vielen Beratungsstellen bieten Anwältinnen kostenfreie Rechtsberatung an. Sie können sich natürlich auch an eine Anwaltskanzlei wenden (kostenpflichtig, Beratungshonorar vorher erfragen).

Recht auf Schutz und Sicherheit

Grundsätzlich haben alle Opfer das Recht, die Polizei, Anwält*innen, Beratungsstellen, Schutzeinrichtungen, Jugendamt, Gesundheitsversorgung und andere Hilfsorganisationen in Anspruch zu nehmen.


Wenn Sie einen Antrag auf Asyl gestellt haben, müssen Sie möglicherweise Ihre Residenzpflicht beachten. Das bedeutet, dass z.B. gewaltbetroffene Frauen, die vor den Tätern fliehen und sich an einen Ort (z.B. ein Frauenhaus) begeben, an den sie sich wegen der bestehenden Residenzpflicht nicht begeben dürften, vorab eine Erlaubnis einholen müssen. Ansonsten begehen Sie eine Ordnungswidrigkeit. Bei gewaltbetroffenen Frauen gilt aber eine solche Ordnungswidrigkeit, die durch die Flucht vorm Täter entsteht, als gerechtfertigt und hat keinen direkten negativen Einfluss auf das Asylverfahren.


Auch eine Wohnsitzauflage (nach Abschluss des Asylverfahrens bei Besitz von humanitären Titeln oder der Zuerkennung von internationalem Schutz) kann zur Vermeidung einer Härte auf Antrag aufgehoben werden. Eine solche Härte liegt dem Gesetzgeber zufolge im Falle von Gewalt gegen Frauen vor. Wichtig ist auch, dass Personen keinen Verstoß gegen die Wohnsitzverpflichtung des § 12a AufenthG und damit auch keine Ordnungswidrigkeit begehen, wenn sie sich in einer solchen Gewaltsituation vorübergehend (6 Wochen) außerhalb der Kommune oder sogar des Bundeslandes aufhalten, der bzw. dem sie zugewiesen wurden. Der Antrag auf Umverteilung kann bis zu sechsWochen nach der Flucht in ein Frauenhaus erfolgen.


Wenn Sie eine Residenzpflicht oder Wohnsitzauflage haben, lassen Sie sich bitte beraten.


Datenschutz
: Was immer Sie unternehmen, achten Sie darauf, dass Ihre neue Adresse geschützt wird. Sie haben das Recht auf Datenschutz.

Polizeieinsatz: Aufgaben und Zuständigkeit der Polize

Wenn Sie in Gefahr sind, rufen Sie bitte die Polizei. Betroffene und Täter*innen werden von der Polizei getrennt befragt. Die Befragung findet durch gleichgeschlechtliche Polizisten statt. Sie haben das Recht auf Sprachmittlung.


Die Polizei ermittelt und dokumentiert, was geschehen ist, sichert Beweise und veranlasst ggf. eine ärztliche Dokumentation von körperlichen Verletzungen und Spurensicherung nach Vergewaltigung, Sie können dies aber auch selbst veranlassen.


Anzeige:
Die Polizei nimmt eine Anzeige auf. Sie haben ein Recht auf eine schriftliche Bestätigung der Anzeige (Informationen über Tatort, Tatzeit und angezeigte Tat) und Sprachmittlung (Sicherstellen, dass es für Sie keine Sprachbarriere gibt).


Strafbare Handlung wie z. B. schwere oder gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Vergewaltigung, Stalking oder Freiheitsberaubung, werden als Offizialdelikte von Amts wegen verfolgt. Bei anderen Straftaten wie einfache Körperverletzung, Beleidigung, sexuelle Belästigung mit Körperkontakt, muss ein Strafantrag gestellt werden.


Gefährdungseinschätzung
: Die Polizei muss den Schutzbedarf des Opfers erfragen, das Risiko für weitere Übergriffe einschätzen und eine Sicherheitsplanung machen. Bei einem hohen Risiko für weitere Straftaten können später Fallkonferenzen einberufen werden (mit allen beteiligten Fachkräften und Betroffenen).


Die Polizei kann akute Schutzmaßnahmen veranlassen
:

  • Wegweisung: Die Polizei kann die gewalttätige Person auch aus der Wohnung oder einem anderen Bereich wegweisen, den Schlüssel einziehen und ein Betretungsverbot für höchstens zwei Wochen aussprechen. Betroffene können die Zeit nutzen, um sich ggf. zum weiteren Vorgehen beraten zu lassen.
  • Kontakt- oder Näherungsverbot: Die Polizei kann auch für mehrere Tage ein Kontakt- oder Näherungsverbot aussprechen oder den Täter bzw. die Täterin vorübergehend in Gewahrsam zu nehmen, wenn die akute Gefährdung nicht anders abgewendet werden kann. Die Polizei informiert Sie über die Entlassung, wenn Sie eine Telefonnummer hinterlassen.
  • Es gibt auch bei gewaltbetroffenen Menschen im Asylverfahren die Möglichkeit der Wegweisung von Tätern oder Täterinnen aus Gemeinschaftsunterkünften und aus eigenen Wohnungen. Die Polizei kann sie aus der Flüchtlingsunterkunft verweisen und die Unterkünfte können den Tätern Hausverbot erteilen.
  • Darüber hinaus kann die Polizei eine Gefährderansprache machen.
  • Sicherung Ihrer digitalen Geräte: Die Polizei berät Sie bei der Sicherung Ihrer digitalen Geräte.
  • Pro-Aktives Programm: Mit Ihrer Zustimmung wird die Polizei eine Beratungsstelle informieren und Sie erhalten einen Rückruf mit einem Beratungsangebot, das Sie annehmen oder ablehnen können (pro-aktives Programm).
  • Sind Kinder im Haushalt, informiert die Polizei das Jugendamt.


Die Polizei informiert über:

  • Gewaltschutzmaßnahmen (Gewaltschutzgesetz), Beratungsstellen, Schutzeinrichtungen und begleitet zu einer Schutzeinrichtung, wenn notwendig
  • Ihre Rechte im Strafverfahren: Vernehmung als Zeug*in, Nebenklage, Prozesskostenhilfe, Anwalt, Entschädigung oder Schmerzensgeld
  • die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs und psychosoziale Prozessbegleitung
  • den Schutz persönlicher Daten, z.B. der neuen Adresse
Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz

Als Betroffene von häuslicher Gewalt können Sie beim Familiengericht auch zivilrechtliche Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz beantragen (Rechtsantragsstelle). Dazu gehören:

  • Kontakt- und Näherungsverbot
  • Die Überlassung einer gemeinsam genutzten Wohnung

Es ist hilfreich, sich vorher in einer Beratungsstelle oder bei einer Hotline beraten zu lassen. Schutzmaßnahmen (z.B. Näherungs- und Kontaktverbote) und das Umgangsrecht zwischen Täter*in und Kindern können zu Konflikten und Gefährdungen führen.

Auskunftssperre

Wenn Sie sich von einem gewalttätigen Partner trennen, in eine andere Wohnung oder in ein Frauenhaus ziehen und weitere Bedrohungen und Gewaltanwendungen befürchten, können Sie beim Bürgeramt eine Auskunftssperre für die neue Anschrift beantragen.

Rechte auf Beteiligung, Schutz und Unterstützung im Strafverfahren

Nach einer Strafanzeige oder einem Strafantrag erfolgt eine Vorladung durch die Polizei oder Staatsanwaltschaft mit einem Termin zu einer Zeugenvernehmung. Bei der Ladung muss über die Rechte als Opferzeug*in informiert werden.


Betroffene haben das Recht, eine vertraute Person oder Anwalt/Anwältin mitzubringen.

  • Zeugnisverweigerungsrecht: Das heißt, Sie können sich zu jedem Zeitpunkt entscheiden, nicht auszusagen.
    Dieses Recht haben Sie, wenn Sie mit Täter*in verheiratet, verlobt, verschwägert sind oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft führen.
  • Nebenklage: Für Betroffene von häuslicher Gewalt gibt es die Möglichkeit zur Nebenklage. Wenn Sie als Nebenkläger*in zugelassen werden, dürfen sie im Prozess anwesend sein, Fragen stellen und Stellungnahmen abgeben, einen Beweisantrag stellen, Akten einsehen usw.
  • Schutz: Das gesamte Strafverfahren, die Befragungen und Ermittlungen müssen den Schutz der Opferzeug*innen berücksichtigen. Das Gericht prüft, ob Sie aus Schutzgründen als Opfer-Zeug*in die Aussage bei Gericht unter Ausschluss der beschuldigten Person oder der Öffentlichkeit machen können. Ein sicheres Zeugenzimmer gehört auch zu den Schutzmaßnahmen. Sie haben als Opfer-Zeug*in das Recht auf Schutz ihrer persönlichen Daten. Bitten Sie gerne den Richter oder die Richterin, dass Ihre neue Adresse nicht verlesen wird. Sie müssen bei Gericht auch nicht Ihre richtige Adresse angeben, sondern nur eine Postanschrift.
  • Information: Betroffene müssen informiert werden über das Recht der Sprachmittlung, die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs und Hilfe- und Unterstützungseinrichtungen.


Betroffene können beantragen, über den Ausgang des Verfahrens oder die Entlassung des Verdächtigen aus der Haft informiert zu werden.

Psychosoziale Prozessbegleitung und psychologische Unterstützung

Sie haben einen gesetzlichen Anspruch auf kostenfreie Beiordnung der psychosozialen Prozessbegleitung, wenn Sie Opfer einer schweren Gewalt - oder Sexualstraftat waren, Ihre Interessen nicht ausreichend selbst wahrnehmen können, ein besonderer Schutzbedarf besteht und Sie minderjährig sind. Sie werden dann zu Vernehmungen und während der Hauptverhandlung begleitet. Aber auch erwachsene Opfer schwerer Gewalt- oder Sexualverbrechen können eine solche Betreuung erhalten.


Sie ist, wenn sie vom Gericht bestätigt worden ist, für die Betroffenen kostenlos. In allen anderen Fällen können Sie auf eigene Kosten eine psychosoziale Prozessbegleitung in Anspruch nehmen. Scheuen Sie sich nicht, bei der Polizei oder einer Opferhilfeeinrichtung (Opfer-Telefon 116 006) nachzufragen.


Auf Antrag beim Gericht kann minderjährigen und erwachsenen Opfern von schweren Straftaten psychologische Unterstützung zuerkannt werden.

Prozesskostenhilfe

Betroffene, die schwere Formen von Gewalt oder schwere Folgen erleiden mussten, haben das Recht, kostenlos eine*n Anwält*in zu bekommen. Aber auch Betroffene mit fehlenden finanziellen Ressourcen können vom Staat Prozesskostenhilfe erhalten, wenn sie ihre Interessen vor Gericht nicht anders wahrnehmen können und wenn das Verfahren gegen Täter*in Aussicht auf Erfolg hat.

Soziale Entschädigung nach dem Sozialgesetzbuch SGB XIV

Wenn Sie häusliche oder sexuelle Gewalt erlebt haben und diese Gewalt eine gesundheitliche Schädigung mit gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Folgen verursacht hat, können Sie einen Antrag auf Leistungen der sozialen Entschädigung stellen (z.B. schnelle Akuthilfe in Traumaambulanzen, Krankenbehandlungskosten, Psychotherapie)


Betroffene erhalten gem. § 41 Abs. 1 SGB SGB XIV Leistungen der Krankenbehandlung – unabhängig davon, ob sie Mitglied einer gesetzlichen oder einer privaten Krankenversicherung sind oder überhaupt einen entsprechenden Versicherungsschutz haben.


Für die meisten Leistungen muss ein Antrag bei den Versorgungsbehörden der Bundesländer gestellt werden.


Die Behörden sind dann grundsätzlich verpflichtet, die erbrachten Leistungen vom Täter/von der Täterin zurückzufordern. Dadurch erhält dieser/diese Kenntnis von Ihrer Antragstellung und ggf. Ihrer neuen Adresse. Eine Rückforderung erfolgt nicht, wenn dies mit Nachteilen für Sie verbunden wäre, etwa dann, wenn Sie mit weiteren Gewalttaten seitens des Täters/der Täterin rechnen müssten. Achten Sie bitte darauf, dass Ihr Aufenthaltsort/ Ihre Adresse nicht mit dem Antrag bekannt wird.

Kinder haben das Recht auf Schutz

Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Dazu gehört auch, dass kein Kind miterleben soll, dass häusliche Gewalt zwischen den Eltern stattfindet. Kinder und Jugendliche können selbst bei der Polizei eine Anzeige erstatten.

  • Jugendamt/Jugendhilfe: Kinder und Jugendliche haben nach dem Bundeskinderschutzgesetz in der Jugendhilfe einen eigenen Beratungsanspruch in Not- und Krisensituationen – ohne Kenntnis der Eltern. Wenn Sie sich trennen und mit Kind/Kindern ausziehen oder flüchten, empfiehlt sich die Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Jugendamt.
  • Sorgerecht: Zum Schutz des Kindes/der Kinder können Sie das vorläufige Aufenthaltsbestimmungsrecht oder die gesamte elterliche Sorge beim zuständigen Familiengericht beantragen. Dies ist nicht einfach durchzusetzen.
  • Möglicherweise besteht bei einer Kindeswohlgefährdung auch eine Verpflichtung des Familiengerichts, zum Schutz der Kinder einzuschreiten. So kann es z. B. nach §§ 1666, 1666a BGB dem/der Täter*in die Nutzung der Wohnung untersagen, ein Kontaktverbot aussprechen, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht entziehen etc.. Das Familiengericht muss von Amts wegen Ermittlungen durchführen.
  • Umgangsrecht: Unabhängig von den Entscheidungen zum Sorgerecht besteht ein Umgangsrecht. Wenn für Sie und Kind/Kinder eine weitere Bedrohung oder die Gefahr von weiteren Misshandlungen besteht und von einer Kindeswohlgefährdung ausgegangen werden muss, können Sie beim Familiengericht einen Antrag auf zeitweilige oder unbegrenzte Aussetzung bzw. Ausschluss des Umgangsrechts stellen. Häufig entscheidet das Gericht auf einen begleiteten Umgang, den Sie auch selbst beantragen können.
  • Anhörung: In Kindschaftssachen werden auch die Kinder angehört.
  • Verfahrenspfleger*in: Damit Kinder ihre Interessen bei Gericht vertreten können, kann das Familiengericht dem Kind einen Verfahrensbeistand beiordnen.
Recht auf finanzielle Unterstützung

Wenn Sie kein oder kein ausreichendes eigenes Einkommen haben und nicht wissen, wovon Sie nach der Trennung oder Flucht leben sollen, können Sie beim zuständigen Jobcenter einen Antrag auf Bürgergeld stellen und Unterhalt für Getrenntlebende und Kindesunterhalt (eventuell mit anwaltlicher Hilfe) geltend machen. Bis zur Entscheidung oder Zahlung können Sie Leistungen vom Jobcenter bzw. bei Erwerbsunfähigkeit vom Sozialamt in Anspruch nehmen. Zahlt der Vater keinen Unterhalt für die Kinder, können Sie beim Jugendamt Unterhaltsvorschuss für Kinder unter 12 Jahren beantragen.


Achten Sie immer darauf, dass Ihre neue Adresse geschützt wird.

Ehegattenunabhängiger Aufenthalt bei häuslicher Gewalt (§ 31 Aufenthaltsgesetz)

Wenn Sie als Migrant*in im Familiennachzug nach Deutschland gekommen sind, müssen Sie grundsätzlich drei Jahre lang mit Ehegatt*in oder eingetragener Lebenspartner*in in einer ehelichen Gemeinschaft in Deutschland zusammenleben, bevor Sie einen eigenständigen Aufenthalt erhalten. Ausnahmen sind möglich. Das ist der Fall, wenn eine besondere Härte vorliegt. Dazu gehört das Erleben häuslicher Gewalt. Nennen Sie der Ausländerbehörde häusliche Gewalt als Grund für einen eigenständigen Aufenthalt, müssen Sie die Tat(en) beweisen oder glaubhaft machen. Hilfreich sind eine ausführliche schriftliche Beschreibung der Vorfälle, eine ärztliche Dokumentation über Ihre Verletzungen, Polizeiberichte/Anzeige oder Aussagen von Freund*innen, Bekannten oder Beratungsstellen über Gewalttätigkeiten Ihrer Ex-Partnerin/Ihres Ex-Partners. Lassen Sie sich bei Aufenthaltsproblemen unbedingt in einer Beratungsstelle oder anwaltlich beraten.

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