Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind
Bei häuslicher Gewalt ist es wichtig, auch die Situation der Kinder in den Blick zu nehmen. Kinder sind immer auch Betroffene von häuslicher Gewalt. Sie sehen oder hören, was geschieht, spüren die Angst zu Hause oder sind direkt in die Gewalthandlungen einbezogen. Auch Kinder möchten, dass die häusliche Gewalt aufhört.
Häusliche Gewalt ist ein permanentes Risiko für die Entwicklung und Gesundheit eines Kindes. Familiäre Beziehungen haben einen erheblichen Einfluss auf das physische, psychische und soziale Wohlbefinden eines Kindes und ihre emotionale und kognitive Entwicklung. Verlässliche Personen / Eltern, Kommunikation in der Familie und ein unterstützendes Umfeld können Kindern ein Gefühl von Sicherheit und Akzeptanz geben und fördern deren Fähigkeit, besser mit belastenden Lebensumständen und traumatischen Ereignissen umzugehen (Resilienz, Widerstandskraft). Hierbei spielen natürlich auch das Alter des Kindes und dessen persönliche Stärken eine große Rolle. Kinder reagieren sehr unterschiedlich, wenn es häusliche Gewalt in der Familie gibt.
Es hat Auswirkungen, wenn Eltern durch die häusliche Gewalt und ihre Folgen gerade dann ihre schützende Rolle nicht ausüben und auf deren Angst und Belastung eingehen können, wenn ihre Kinder besonders auf Unterstützung und Schutz angewiesen sind.
Sie sind nicht allein; zögern Sie nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Oft spielt häusliche Gewalt in mehreren Generationen einer Familie eine Rolle. Kinder, die häusliche Gewalt zwischen den Eltern erleben mussten, haben ein erhöhtes Risiko (50%), im Erwachsenenleben Opfer oder Täter/Täterin häuslicher Gewalt zu werden.
Gewalterfahrungen im Kindesalter können seelische Wunden und Spuren hijnterlassen. Wenn diese Kinder die traumatischen Erlebnisse im Gehirn gespeichert haben und nicht verarbeiten konnten und dann selbst Eltern sind, übertragen sie möglicherweise gelernte Verhaltensweisen und Formen der Konfliktbearbeitung, Erziehungsstile, Haltungen, unsichere Bindungserfahrungen, Ängste, erlebte Hilflosigkeit, Stimmungsschwankungen, Aggressionen etc., die mit ihren eigenen Gewalterfahrungen zu tun haben, (meist unbewusst) auf ihre Kinder. Schwangerschaft, Geburt oder Elternschaft können auch negative Erinnerungen an die eigene Kindheit und Traumata wieder aktivieren und können den Umgang mit den eigenen Kindern beeinflussen.
Häusliche Gewalt kann sich also von Generation zu Generation fortsetzen. Man spricht auch von generationsübergreifender Traumatisierung.
Häusliche Gewalt gilt in Deutschland als eine Kindeswohlgefährdung, weil Drohungen, Angst und Schläge Spuren bei den Kindern hinterlassen und das Vertrauen in wichtige Bezugspersonen erschüttern können. Die Auswirkungen werden oft unterschätzt. Es ist ein nicht selten geäußerter Trugschluss, dass Kinder und besonders kleine Kinder Gewalt zwischen Partnern nicht mitbekommen.
Kinder haben aber ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung (§ 1631 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch BGB). Daraus ergibt sich auch ein Recht auf Hilfe und Schutz vor häuslicher Gewalt. Der besondere Schutz von Kindern braucht Aufmerksamkeit –Kinder können sich kaum selbst helfen. Daraus ergibt sich eine Verpflichtung der Eltern und der Gesellschaft, vermeidbaren und unnötigen Beeinträchtigen des Kindeswohls entgegen zu wirken.
Häusliche Gewalt verursacht Stress. Schwerer Stress in der Kindheit kann zu lang anhaltenden und tief greifenden Auswirkungen auf die Gehirnstrukturen und grundlegende Funktionen des Gehirns führen und sich in der Folge auf das Verhalten, das emotionale Wohlbefinden und die allgemeine Gesundheit bis in das Erwachsenenalter auswirken.
Zuwendung und Fürsorge sind entscheidend für die Entwicklung des Gehirns in den ersten Lebensjahren, in denen sich das Nervensystem rasch verändert und entwickelt. Das Umfeld eines Kindes hat einen immensen Einfluss, insbesondere in den ersten 2-3 Lebensjahren. Der Hippocampus, der im Gehirn für Gedächtnis und Lernen zuständig ist, kann durch Stress verändert werden. Solche epigenetischen Entwicklungen lassen sich aber verändern, auch wenn es dafür Zeit braucht.
Oft fühlen sich Kinder für die Gewalthandlungen verantwortlich oder schuldig und glauben, dass sie sie irgendwie verursacht haben und es an ihnen liegt. Vielleicht sind sie wütend auf einen Elternteil, weil dieser weder sich selbst noch sie schützen kann. Manche Kinder fühlen sich schuldig, weil sie nicht eingegriffen haben, um den Übergriff zu stoppen. Sie versuchen vielleicht, ihren Eltern aus Angst vor Gewalt alles Recht zu machen oder kritischen Situationen aus dem Weg zu gehen. Kinder können sich aber auch mit der Situation alleingelassen und hilflos fühlen, weil ihre Eltern wegen der wiederholten Gewalt gar nicht mehr ihre Bedürfnisse ausreichend wahrnehmen und sich um sie kümmern. Trotz allem hängen Kinder an ihren Eltern und sind auf sie angewiesen.
Manche Kinder versuchen Streit zu schlichten, Konflikte zu lösen, schützend einzugreifen oder rufen die Polizei, wohl wissend, dass sie damit den gewalttätigen Elternteil „enttäuschen“ und gegebenenfalls dessen Ärger und Wut auf sich ziehen. Sie übernehmen Elternfunktionen, erleben Elternteile als bedürftig und fühlen sich selbst aber als jemand, der keine Fürsorge verdient. Dies kann auch spätere Beziehungen beeinflussen. (Vgl. Literatur: Ute Ziegenhain, Erlebens- und Verarbeitungsweisen von Kindern im Kontext häuslicher Gewalt, E-Learning Gewaltschutz)
Viele Kinder machen sich auch Sorgen um das Wohlergehen des gewalttätigen Elternteils. Sie trauern vielleicht bei dem Gedanken, dass der Elternteil allein gelassen wird, oder machen sich Sorgen, dass der Elternteil im Gefängnis landen könnte. Insbesondere wenn der Elternteil anderen oder sich selbst Schaden angedroht hat, kann das Kind um die Sicherheit des Elternteils besorgt sein.
Kinder sind loyal gegenüber ihren Eltern, und wollen von beiden Elternteilen akzeptiert werden. Häusliche Gewalt in der Familie kann aber auch Loyalitätskonflikte fördern. Kinder sind emotional an beide Eltern gebunden. Feindseligkeiten oder gar offene Aggressionen zwischen den Eltern sind für sie mit schwer bzw. nicht zu bewältigenden und widerstreitenden Gefühlen verbunden. Sie fühlen sich für den einen Elternteil verantwortlich und / oder identifizieren sich mit dem anderen Elternteil, der sich gewaltsam durchsetzt und aggressiv behauptet.
Zu einem Loyalitätskonflikt kann es auch kommen, wenn Eltern unter Androhung von Konsequenzen verbieten, anderen außerhalb der Familie zu erzählen, was zu Hause passiert ist und Hilfe zu holen.
Eltern glauben oft fälschlicherweise, dass Kinder Gewalt nicht wahrnehmen und sie deshalb nicht mit ihnen darüber sprechen müssen. Dies ist eine Fehleinschätzung. Kinder beobachten, hören und spüren alles. Selbst kleine Kinder, die noch nicht sprechen können, nehmen die Atmosphäre zu Hause wahr, und diese Erfahrungen werden in ihrem Unterbewusstsein gespeichert und lösen Reaktionen aus. Vielleicht gehen die Eltern auch davon aus, dass es nicht nötig ist, dem Kind die ganze Wahrheit zu sagen, oder dass es Ereignisse nur oberflächlich erfasst und leicht vergisst. Für Eltern kann es überraschend sein, wie genau Kinder Gewalttaten beschreiben können, obwohl sie dachten, dass die Kinder schliefen.
Kinder wissen, was zu Hause passiert ist und dass der Aufenthalt in einem Frauenhaus oder an einem sicheren Ort mit diesen Ereignissen zusammenhängt. Es ist fair, offen mit dem Kind über das Geschehene zu sprechen und z.B. Entscheidungen zu erklären (dass sie aus Sicherheitsgründen weggehen mussten), anstatt Ausreden zu finden (Wir sind im Urlaub). Ein Kind hat ein Recht darauf zu wissen, warum es von zu Hause weggehen musste, dass das, was passiert ist, falsch und möglicherweise ein Verbrechen war, und dass es jetzt in Sicherheit ist und Hilfe bekommt. Gerade auch bei älteren Kindern und Jugendlichen gehört es auch zu einer offenen Kommunikation, dass sie ihre eigene Sicht der Dinge haben dürfen und möglicherweise auch beim gewaltausübenden Elternteil bleiben wollen anstatt mit der Mutter zu flüchten.
Kommunikation kann dazu beitragen, das Kind zu beruhigen und seine Ängste zu lindern, die es vielleicht versteckt hat, um den ohnehin schon belasteten Elternteil vor zusätzlichem Stress zu bewahren. Ein Elternteil geht mit gutem Beispiel voran, indem er aktiv einen Dialog sucht.
Es ist wichtig, dass ein Kind in einer Umgebung aufwächst, die von Verständnis, Sicherheit und Zuneigung geprägt ist. Das Kind darf nicht bestraft oder respektlos behandelt werden. Es muss vor jeder Form von Gewalt geschützt werden.
Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist das Recht von Kindern auf eine gewaltfreie Erziehung festgeschrieben. Paragraph § 1631 Abs. 2 BGB lautet: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“
Wenn häusliche Gewalt und/oder Kindesmisshandlung in der Familie eine Rolle spielen, gibt es verschiedene Hilfeangebote und Interventionsmöglichkeiten.
Betroffene Kinder/Jugendliche oder Elternteile selbst, aber auch Personen aus dem Umfeld der Familie und Fachkräfte (Ärzte, Lehrer*innen etc.) können sich beim Jugendamt melden.
Auch die Polizei macht nach einem Einsatz bei häuslicher Gewalt eine Meldung ans Jugendamt. Das Jugendamt wird mit der betroffenen Familie sprechen und kann verschiedene Hilfen zur Entlastung (z.B. Familienhilfe), Unterstützung bei der Regelung von Umgangs- und Sorgerechtsfragen oder Beantragung von Schutzanordnungen etc. anbieten. Das Wohl des Kindes steht dabei im Mittelpunkt. Bei extremer Gefährdung des Kindes und einer mangelnden Bereitschaft der Eltern zur Mitarbeit, kann es auch zu einer Herausnahme des Kindes aus der Familie kommen (Inobhutnahme).
Eltern stehen aber auch verschiedene Beratungsstellen, das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, das Hilfetelefon Gewalt an Männern zur Verfügung, die sich an Betroffene wenden. Ausübende von häuslicher Gewalt nutzen gerne die Täterhotline. Kinderschutzzentren oder die Elternhotline beraten bei Gewalt gegen Kindern. Die Nummer gegen Kummer richtet sich direkt an Kinder und Jugendliche.
Zum Weiterlesen:
Das Jugendamt. Unterstützung, die ankommt. (Eine Broschüre inverschiedenen Sprachen)
Das Miterleben oder Erleben von Gewalt kann Gesundheitsfolgen haben
Das Erleben von häuslicher Gewalt kann tiefgreifende emotionale, psychologische und entwicklungsbezogene Störungen verursachen. Aber nicht alle Kinder entwickeln gesundheitliche Probleme oder Auffälligkeiten. Für Kinder, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, ist es wichtig, dass sie Unterstützung und Hilfe erhalten. Beratung, Therapie und Selbsthilfegruppen können ihnen helfen, ihre Erfahrungen zu verarbeiten, und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Die Schaffung eines sicheren Umfelds und die Gewährleistung ihres allgemeinen Wohlbefindens sind für ihre Genesung und Widerstandsfähigkeit sowie für das Durchbrechen des generationenübergreifenden Kreislaufs der Gewalt unerlässlich. Hier sind einige Beispiele dafür, wie häusliche Gewalt Kinder beeinträchtigen kann:
Kinder können verschiedene negative Emotionen erleben, darunter Furcht, Angst, Traurigkeit, Ohnmacht, Wut und Zorn. Sie fühlen sich möglicherweise unsicher, sind ständig nervös und haben mit Vertrauensproblemen zu kämpfen.
Kinder, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, können Verhaltensauffälligkeiten wie Aggressionen, Trotzverhalten oder Rückzug zeigen. Sie haben möglicherweise Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu kontrollieren und gesunde Beziehungen (auch zu Gleichaltrigen) aufzubauen.
Häuslicher Gewalt kann die Konzentrationsfähigkeit eines Kindes beeinträchtigen, was zu schulischen Problemen, schlechten Noten und niedrigeren Bildungsabschlüssen führen kann.
Bei Kindern in gewalttätigen Familien können körperliche Verletzungen und Gesundheitsprobleme wie Hämatome, Prellungen, Frakturen, Kopf- und Bauchschmerzen etc. auftreten. Der chronische Stress kann ihr Immunsystem schwächen.
Häusliche Gewalt kann die gesunde Entwicklung eines Kindes beeinträchtigen. Es kann durch das toxische Umfeld, dem sie ausgesetzt sind, zu Verzögerungen beim Sprechen und bei der körperlichen, kognitiven und sozialen Entwicklung kommen.
Kinder, die in einem von häuslicher Gewalt geprägten Umfeld aufwachsen, haben ein höheres Risiko, später im Leben Depressionen, Angst- und Panikattacken, posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) zu entwickeln oder Drogen zu konsumieren.
Erlebt ein Kind Gewalt, kann dies sein Verständnis von gesunden Beziehungen beeinflussen. Es kann Schwierigkeiten entwickeln, Vertrauen aufzubauen, gesunde Grenzen zu wahren und sichere Bindungen einzugehen.